Zwischen Kontrolllücke und Kontrollwahn – Wo Digitalisierung Regeln braucht
09.10.2025 | Unternehmen

Duisburg-Marxloh, eine siebte Klasse, ein einfacher Versuch – und plötzlich sind Jugendliche mit wenigen Klicks tief im Netzwerk ihrer Schule unterwegs. Kein Passwort, keine Mehrfaktorprüfung, kaum technische Barrieren. Was wie eine urbane Legende klingt, wurde im Rahmen eines Workshops der ReDI School Realität. Ziel war es eigentlich, jungen Menschen Grundkenntnisse in Cybersicherheit zu vermitteln. Doch die Schüler machten auf etwas anderes aufmerksam: Sicherheitslücken, die längst hätten geschlossen sein müssen.
Was die ReDI School in Duisburg offenlegte, geht über lokale Zustände hinaus. Wenn Kinder ohne Umwege Zugriff auf schulinterne Daten erhalten, zeigt das nicht bloß fehlendes Wissen – es entlarvt strukturelle Versäumnisse. Viele Schulen arbeiten noch immer mit Systemen, die längst veraltet oder ungeschützt sind. Die eigentliche Botschaft des Vorfalls lautet also: Selbst die motiviertesten Aufklärungsinitiativen stoßen an Grenzen, wenn die technische Basis nicht stimmt.
Zwischen Empowerment und Verantwortung – Was Schulen leisten können
Die ReDI School verfolgt ein klares Ziel: digitale Kompetenzen vermitteln, junge Menschen stark machen, ihre Chancen verbessern. Doch was passiert, wenn der Bildungsträger mit seinen Workshops die einzige Instanz ist, die Cybersicherheit ernst nimmt? Schulen müssen mehr sein als nur Austragungsorte für externe Programme – sie brauchen selbst digitale Strategien. Dazu gehören geschulte Lehrkräfte, klar definierte Zuständigkeiten und technische Ressourcen.
Der Vorfall in Duisburg wirft deshalb auch eine bildungspolitische Frage auf: Wer trägt Verantwortung für den digitalen Schutzraum Schule? Gerade in sozial herausgeforderten Stadtteilen wie Marxloh kann gute Digitalbildung nicht allein vom Engagement einzelner Initiativen abhängen. Die Schulen brauchen dauerhafte Unterstützung – personell, technisch und konzeptionell. Ohne diese Grundlage bleibt der Aufruf zur digitalen Selbstverantwortung eine hohle Phrase.
Kontrolle in der Bildung – Fehlanzeige
Während in anderen Bereichen digitaler Kontrolle teils mit überzogenen Mitteln gearbeitet wird, herrscht im Bildungsbereich oft ein gefährliches Vakuum. Die Kontrolle fehlt dort, wo sie eigentlich nötig wäre – etwa bei der Vergabe von Zugängen, bei der Wartung von Firewalls oder der Überprüfung eingesetzter Software.
Gleichzeitig sind es genau diese Räume, in denen junge Menschen ihre ersten Schritte im digitalen Raum machen. Wenn grundlegende IT-Sicherheitsprinzipien nicht von Anfang an etabliert werden, wächst eine Generation heran, die zwar technikaffin ist, aber nicht weiß, wie man sich schützt. Umso wichtiger ist es, in der Schule mit gutem Beispiel voranzugehen – nicht nur in der Theorie, sondern auch mit funktionierenden Systemen.
Und anderswo? Da wird gesperrt, gefiltert, verboten
Kurios wird es, wenn man die Situation an Schulen mit anderen Bereichen des digitalen Alltags vergleicht. Während Netzwerke in Bildungseinrichtungen offen und ungesichert bleiben, sind digitale Freizeitbereiche oft überreguliert. Streaming-Plattformen setzen auf automatisierte Inhaltsfilter, soziale Netzwerke sind durch Altersverifikationen und Uploadfilter abgeschirmt. Und im Glücksspiel- und Unterhaltungsbereich sorgen Sperrdateien dafür, dass Nutzer bereits beim Verdacht auf riskantes Verhalten ausgesperrt werden.
Gerade im Kontext digitaler Freizeitangebote wirkt diese Kontrollkultur teils überdimensioniert. Dabei ist die Stoßrichtung nachvollziehbar: Schutz vor Sucht, Schutz Minderjähriger, Einhaltung von Jugendschutzstandards. Doch zwischen gut gemeinter Kontrolle und wirkungsloser Überregulierung verläuft ein schmaler Grat. Denn wer mit pauschalen Maßnahmen ganze Nutzergruppen ausschließt, fördert nicht automatisch Sicherheit – sondern schafft Umgehungsstrategien.
Ein gutes Beispiel sind Plattformen, auf denen Inhalte trotz Sperrmechanismen gespielt werden. Sie entstehen nicht zwangsläufig mit krimineller Absicht, sondern als Reaktion auf Systeme, die zu viel regulieren – und dabei Nutzerbedürfnisse ausblenden. Diese Plattformen, auf denen Inhalte trotz automatischer Filter ohne Sperrdatei gespielt werden, illustrieren dieses Spannungsfeld: Sie entstehen häufig als Reaktion auf restriktive Systeme – nicht unbedingt, um sie zu unterlaufen, sondern weil Nutzungsfreiheit und Datenschutz anders gewichtet werden. Genau darin liegt die Herausforderung: sinnvolle, kontextbezogene Regeln zu schaffen – nicht pauschale Kontrolle.
Regulierungsdruck versus Nutzerautonomie
Was in Duisburg als lokales Problem begann, öffnet eine breitere Debatte: Wie viel staatliche Kontrolle ist digital sinnvoll – und wann kippt sie in Bevormundung? Die Antwort liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Es braucht Mindeststandards, klare Zuständigkeiten und durchdachte Datenschutzkonzepte. Doch wer glaubt, mit technischen Sperren oder überzogenen Restriktionen alle Risiken aus der Welt schaffen zu können, unterschätzt die Dynamik digitaler Räume.
Zudem darf nicht übersehen werden, dass viele digitale Plattformen von Eigenverantwortung und Flexibilität leben. Dort, wo Nutzer gezielt Verantwortung übernehmen – etwa durch Passwortmanager, Verschlüsselung oder Privacy-Einstellungen – entsteht oft mehr Schutz als durch rein technokratische Lösungen von oben. Die Herausforderung besteht also darin, beides zusammenzubringen: verbindliche Regeln, wo sie nötig sind, und Raum zur Selbstbestimmung, wo sie möglich ist.
Was Duisburgs Schulen lehren – und warum es größer gedacht werden muss
Die Geschehnisse rund um die ReDI School zeigen, wie stark die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Digitalisierung sein kann. Einerseits gibt es engagierte Programme, die Jugendliche ernst nehmen und ihnen digitale Mündigkeit zutrauen. Andererseits stoßen sie auf Systeme, die nicht vorbereitet sind – weder technisch noch konzeptionell.
Es braucht mehr als nur Leuchtturmprojekte und punktuelle Fördermittel. Wenn digitale Räume sicher und zugleich offen sein sollen, müssen sie ernsthaft gestaltet werden: durch bessere Infrastruktur an Schulen, durch reflektierte Regulierung und durch die Einbindung der Menschen, die diese Räume nutzen. Denn nur wenn Sicherheit, Freiheit und Bildung zusammengedacht werden, entsteht ein digitales Umfeld, das funktioniert – und zwar für alle.
