Arbeitszeiterfassung – ist der Arbeitgeber zur Zeiterfassung verpflichtet?
27.09.2022 | Unternehmen
Nach einem nur unzureichend umgesetzten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019 wurde das Thema Arbeitszeiterfassung in Deutschland immer wieder breit diskutiert. Vor kurzem hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass Arbeitgeber bald verpflichtet sein werden, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter exakt zu erfassen. Was bedeutet das für den Arbeitsalltag?
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Was versteht man unter Arbeitszeiterfassung?
In den vergangenen Monaten wurde viel über die Erfassung von Arbeitszeiten gesprochen. Generell versteht man unter Arbeitszeiterfassung die Feststellung und Speicherung von Arbeitszeitdaten der Arbeitnehmer. Dazu zählen vor allem Basisdaten wie Arbeitsbeginn, Arbeitsende und Pausen.
Die Arbeitszeiterfassung ist vor allem für die Ermittlung von Grundlagen für die Lohnabrechnung oder die Zuordnung von Arbeitsstunden zu Projekten entscheidend. Darüber hinaus werden Unternehmen in bestimmten Fällen durch arbeitsrechtliche Vorschriften verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Angestellten nachzuhalten. Die Erfassung kann beispielsweise auf analogem Wege oder durch eine digitale Arbeitszeiterfassung Software erfolgen.
Wozu dient Arbeitszeiterfassung?
Arbeitszeiterfassungen bilden die Datenbasis von Abrechnungs- und Kostensteuerungssystemen, da sie die relevanten Zeitdaten wie Regelarbeitszeit, Mehrarbeit oder Sollzeit erfassen und objektiv berechenbar machen. Diese Transparenz ist notwendig, um belastbare Aussagen über Geschäftsprozesse und deren Steuerung treffen zu können.
Für die Einführung von Zeiterfassung sprechen aus Unternehmenssicht zunächst diese fünf Gründe:
1. Erleichterung der Arbeit
2. Kosteneinsparungen
3. Arbeitszeit kann besser auf Aktivitäten und Projekte aufgeteilt werden
4. Arbeitsstunden und Überstunden werden automatisch berechnet
5. Bessere Kontrolle in vielen Bereichen
Vorteile von Arbeitszeiterfassung
Für die Nutzung von Zeiterfassungssystemen lassen sich folgende Pro- und Contrapunkte anführen:
Vorteile für Arbeitgeber:
● Effiziente Gehaltsabrechnung
● Automatisierung von vielen Prozessen
● Optimierung der Arbeitsabläufe
● Minutengenaue Zeitabrechnung
● Effiziente Buchungsarchivierung und Nachvollziehbarkeit von Vergangenheitsdaten
● Mehr Sicherheit, Transparenz und Übersicht
● Leichtere und effizientere Planung des Personaleinsatzes
● Erleichterung der Arbeit und Verbesserung der Rentabilität
Vorteile für Arbeitnehmer:
● Transparenz und Nachverfolgbarkeit
● Automatisches Führen von Stundenkonten und Abwesenheitszeiten
● Leichtere Planung, zum Beispiel von Urlaub
● Nachweis und Kontrolle von Überstunden
Nachteile von Arbeitszeiterfassung
Die Erfassung der Arbeitszeit bringt typischerweise folgende Vor- und Nachteile mit sich:
Nachteile für Arbeitgeber:
● Es kann zu Datenschutzverletzungen bei nicht datenschutzkonformen Anwendungen kommen
● Manipulation von Buchungen durch Mitarbeiter möglich
● Keine Aussage über die Produktivität der Mitarbeiter, wenn die Zeiten nicht projektbezogen erfasst werden
● Implementierung kostet Geld
Nachteile für Arbeitnehmer:
● Kann eine Arbeitsatmosphäre schaffen, die auf objektiver Überprüfung und nicht auf grundlegendem Vertrauen beruht
● Arbeitnehmer können sich kontrolliert und gegängelt fühlen
● Unter Umständen mehr bürokratischer Aufwand
Zeiterfassung: Aktuelle rechtliche Situation in Deutschland
Unternehmen wurden in Deutschland vom Gesetzgeber bisher nicht verpflichtet, die exakten Arbeitszeiten der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Es existieren allerdings Ausnahmen für bestimmte Branchen, Berufsgruppen und Beschäftigungsmodelle. Gemäß Mindestlohngesetz müssen etwa geringfügig Beschäftigte ihre Arbeitszeiten erfassen.
Zudem muss die Arbeitszeit von Arbeitnehmern dokumentiert werden, die an Sonn- und Feiertagen arbeiten. Auch Überstunden müssen erfasst werden. In dafür anfälligen Branchen wie dem Baugewerbe oder der Gastronomie werden heute schon genaue Arbeitszeiten erfasst, um Schwarzarbeit effektiv verhindern zu können.
Hat die Entscheidung des BAG Folgen?
Die Arbeitsschutzvorschrift, auf die sich das BAG zur Begründung einer bereits bestehenden Arbeitszeiterfassungspflicht beruft, ist sehr allgemein gehalten. Sie enthält keine Einzelheiten zur Arbeitszeiterfassung, sondern nur allgemeine Arbeitsschutzgrundsätze. In der Praxis wirft dies eine Reihe ungeklärter Fragen auf.
Unklar bleibt beispielsweise, was die Entscheidung für die Praxis der sogenannten Vertrauensarbeitszeit bedeuten wird. Zudem ist noch nicht geklärt, welche Optionen Arbeitgeber bei der Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems haben werden und welche Normen bei der Erfassung erfüllt werden müssen.
Bei der Installation eines Arbeitszeiterfassungssystems sollten Arbeitgeber auch darauf achten, dass daraus keine ungewollten Nachteile für mögliche Ansprüche auf Überstundenausgleich entstehen. Das BAG hat bereits klargestellt, dass auch ohne Arbeitszeiterfassung die Beweislast für Ansprüche bezüglich des Ausgleichs von Überstunden beim Arbeitnehmer verbleibt.
Fazit: Pflicht zur Arbeitszeiterfassung
Ob das BAG-Urteil das Zeug zum Gamechanger hat, muss erst noch abgewartet werden. Dabei sollten Präzisierungen der Pflicht durch weitere Gerichtsentscheidungen und mögliche Vorgaben des Gesetzgebers aufmerksam verfolgt werden. Arbeitgeber sollten sich auf jeden Fall auf die künftige Einführung von Arbeitszeiterfassungssystemen vorbereiten. Eine voreilige und schlecht geplante Umsetzung könnte sich später als kontraproduktiv erweisen.